Wie schützt man sich vor einem Tsunami

2004 wurden die Küsten Südasiens und Ostafrikas im indischen Ozean vom tödlichsten Tsunami seit Menschengedenken überrascht. Mindestens 230.000 Menschen verloren am Morgen des zweiten Weihnachtstags ihr Leben, etwa 1,7 Millionen wurden obdachlos. Was wissen wir heute über die Entstehung von Tsunamis? Und wie kann man sich vor ihnen schützen? 

Wie schützt man sich vor einem Tsunami

Infografik zum Tsunami 2004 © Welthungerhilfe

Tsunamis entstehen durch Seebeben, Erdrutsche, Vulkanausbrüche oder Meteoriteneinschläge – Erschütterungen des Meeresbodens, die kilometerhohen Wassersäulen in Schwingungen versetzen. Wie ein akustisches Signal breiten sich die Wellen in alle Richtungen aus.

Auf offener See werden die Wellen selten mehr als 50 Zentimeter hoch – sie sind daher selbst für kleine Boote keine Gefahr. Sie pflanzen sich fast unbemerkt und mit Riesengeschwindigkeit fort. Gefährlich werden die Wellen erst bei niedriger Wassertiefe - in der Nähe von Küsten und Inseln. Denn im flachen Wasser stauchen sich die Wellen und ihre Wellenkämme türmen sich höher und höher.

Beim Tsunami 2004 kam es zu ansteigenden Flutwellen von mehr als 30 Höhenmetern. Beim Auftreten auf die Küsten richteten sie und die nachschiebenden Wassermassen verheerende Schäden an. Zerstörerisch waren aber nicht nur die Wellen, sondern auch die ungeheure Sogkraft. So riss das zurückgeflossene Wasser Tausende von Menschen 2004 mit in die tiefe See.

Weil sie nach einem normalen Tag auf See ein völlig zerstörtes Ufer vorfanden, tauften japanische Fischer das Phänomen Tsunami, „Welle im Hafen“.

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Ihre Unauffälligkeit macht Tsunamis zur fatalsten Naturkatastrophe überhaupt. Dabei sind sie bisher sehr selten: Nur ein Prozent der Meeresbeben lösen überhaupt messbare Tsunamis aus.

Die meisten Tsunamis ereignen sich an tektonische Plattengrenzen wie dem Pazifischen Feuerring. Hin und wieder entstehen sie jedoch an europäischen Küsten – etwa 1908 vor Italien im Mittelmeer, wo in Messina fast 100.000 Menschen getötet wurden. Der Tsunami vor Japan am 11. März 2011 forderte unmittelbar zwar längst nicht so viele Tote, doch er löste die nukleare Katastrophe von Fukushima aus.

Warnsysteme: Hightech und uraltes Wissen

Doch ein Tsunami muss nicht zwangsläufig eine Katastrophe wie 2004 in Südasien anrichten, als er die Menschen völlig unterwartet und ohne Vorwarnung überfiel. Vor Tsunamis lässt sich warnen, da man die Wellen schon auf dem Meer orten kann.

Im Pazifik existiert seit 1968 ein Tsunami-Frühwarnsystem. Als Reaktion auf die Katastrophe wurde auch 2008 im Indischen Ozean ein vom Geoforschungszentrum Potsdam entwickeltes Frühwarnsystem in Betrieb genommen. Und so funktioniert es: Sensoren, die auf dem Meeresboden verankert sind, registrieren jeden Erdstoß. Die gemessenen Daten werden an GPS-Bojen gesendet und dann an Satelliten weitergeleitet. Bojen und Satelliten liefern zusätzlich Daten über Meeresbewegungen in wissenschaftliche Überwachungszentren. Von dort aus wird bei Tsunami-Gefahr der Alarm gestartet und in den Ländern via Medien, aber auch über SMS und mobile Apps verbreitet.

Doch auch tradiertes Wissen, das über Generationen weiter gegeben wird, spielt eine wichtige Rolle. Nur wenige Kilometer vom Epizentrum des Bebens entfernt, überlebten fast alle Bewohner*innen einer Insel: Simeuluë in Indonesien. 1907 hatte ein Tsunami dort viele Menschen in den Tod gerissen. Weil die Überlebenden die Erinnerung mündlich überliefert hatten, blieb ihren Ururenkeln dasselbe Schicksal erspart. Mit einem Projekt der Welthungerhilfe haben die Bewohner*innen von Simeuluë ihre Insel mittlerweile wieder aufgebaut.

Doch auch tradiertes Wissen, das über Generationen weiter gegeben wird, spielt eine wichtige Rolle. Nur wenige Kilometer vom Epizentrum des Bebens entfernt, überlebten fast alle Bewohner einer Insel: Simeuluë in Indonesien. 1907 hatte ein Tsunami dort viele Menschen in den Tod gerissen. Weil die Überlebenden die Erinnerung mündlich überliefert hatten, blieb ihren Ururenkeln dasselbe Schicksal erspart. Mit einem Projekt der Welthungerhilfe haben die Bewohner von Simeuluë ihre Insel mittlerweile wieder aufgebaut.

Ein Tsunami entsteht infolge plötzlicher und grossflächiger Hebung oder Senkung von Teilen des Meeresbodens bei einem Erdbeben oder durch das Hineinrutschen großer Massen. Die Bewegung des Ozeanbodens versetzt Wassermassen in Schwingungen.

Nur ein Prozent der Meeresbeben lösen überhaupt messbare Tsunamis aus:

Sobald eine Katastrophe, wie beispielsweise ein Tsunami, Menschenleben bedroht, ist die Welthungerhilfe vor Ort, denn oft entscheiden die ersten Stunden nach einer Katastrophe darüber, ob Menschen diese überleben. Die besonders ausgebildeten und erfahrenen Mitarbeiter*innen des Nothilfeteams sind permanent in Einsatzbereitschaft. Sie stehen im ständigen Austausch mit Kolleg*innenen in vielen Ländern, mit Wissenschaftlern und Organisationen wie der UNO. So kann das Nothilfeteam sofort reagieren oder in einigen Fällen sogar frühzeitig erkennen, wenn sich etwa Dürren oder militärische Konflikte anbahnen – und damit Hungerkrisen.

Wie schützt man sich vor einem Tsunami

Was passiert nach einer Katastrophe? © Welthungerhilfe

Wie schützt man sich vor einem Tsunami

Auf einen Blick: Beispiele und Zahlen "Hilfe für Tsunami-Opfer" © Welthungerhilfe

Wie schützt man sich vor einem Tsunami

Der Tsunami sorgte für Katastrophen in acht Ländern - mehr als 1,7 Millionen Menschen wurden obdachlos. © Welthungerhilfe

Die Welthungerhilfe leistet in vielen Ländern schnelle und effektive Nothilfe bei Naturkatastrophen oder bewaffneten Konflikten.

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Deshalb wurde in den folgenden Jahren gemeinsam mit der indonesischen Regierung ein Frühwarnsystem aufgebaut. Was waren die Herausforderungen?

Dr. Lauterjung: Immens wichtig ist es, möglichst nah am Epizentrum eines Seebebens zu messen. Das war eine kleine Meisterleistung der Forscher: Es wurde ein sehr dicht gespanntes Netz an diversen Messstationen aufgebaut, um möglichst nah an den Sunda-Graben, der parallel zur Küste der Inseln Sumatra, Java und Bali verläuft, heranzurücken. Hier kommen Seismometer, GPS-Stationen und Instrumente zur Küstenpegelmessung zum Einsatz. Über Indonesien verteilt wurden insgesamt ca. 300 Instrumente aufgebaut. Davon sind 160 moderne Erdbeben-Messstationen (Seismometer) über das ganze Land verteilt und mit weiteren Messstationen rund um den Indischen Ozean und im Westteil des Pazifiks vernetzt. Mit Hilfe von GPS beobachten etliche Stationen, wie sich die Erdplatten bewegen, vor allem vertikal. Computermodelle erzeugen mit Hilfe dieser Fülle an Daten ein genaues Lagebild und liefern Informationen, wann und wie hoch die Wellen an jedem einzelnen Abschnitt der Küste auflaufen und wie weit sie landeinwärts dringen werden. Man kann also für jedes Gebiet sehr spezifische Warnungen rausgeben.
Also alles eine Frage der Technik? Problem gelöst?
Dr. Lauterjung: Wir wissen auch aus anderen Projekten, dass häufig der Mensch das schwächste Glied der Warnkette ist. Gerade auf der letzten Meile, wenn die Information zu den Menschen kommt, entstehen häufig Probleme. Wie evakuiert man eine ganze Stadt, wohin sollen die Menschen fliehen? Wie schult man sie, damit sie sich richtig verhalten, wie sehen Fluchtwege aus? Es muss alles bis ins letzte Detail durchdacht sein. Die Behörden müssen gut zusammenspielen und die Bevölkerung muss auch immer wieder sensibilisiert werden. Denn wenn ein Tsunami länger zurückliegt, verschwindet das Wissen aus dem öffentlichen Gedächtnis und das Risikobewusstsein in der Bevölkerung nimmt ab.
Wie wichtig sind solche Frühwarnsysteme für dicht besiedelte küstennahe Gebiete und Städte?Dr. Lauterjung: Aus meiner Sicht extrem wichtig, denn gerade Städte sind im Falle eines Tsunamis sehr verletzlich. Wir wissen aus früheren Ereignissen, was in einer dicht besiedelten Stadt passieren kann, die von einem Tsunami überrollt wird. 1755 wurden mehr als Dreiviertel der Altstadt von Lissabon durch ein schweres Erdbeben und den anschließenden Tsunami zerstört. Die Menschen flohen nach dem Erdbeben an den Hafen. Sie sahen, dass das Meer verschwunden war, die Schiffe lagen im Hafenschlick. Und dann kam der riesige Tsunami und schoss den Tejo aufwärts. Es gab kein breites Wissen in der Bevölkerung für die Indikatoren eines kommenden Tsunami – übrigens wie 2004 in Indonesien auch. Die Menschen verhielten sich dementsprechend falsch und fielen der zerstörerischen Kraft des Wassers zum Opfer.


Kann man Städte durch technische oder bauliche Maßnahmen schützen?

Dr. Lauterjung: Bei Wellen in dieser Höhe sind die technischen Möglichkeiten begrenzt. Viele Bollwerke würden bei einem so schweren Ereignis einfach überspült, siehe das Beispiel Japan 2011. Man hat aber auch ein falsches Bild vor Augen, wenn man nur die Höhe einer Riesenwelle vor Augen hat. Tatsächlich werden gigantische Wassermassen bewegt, das Wasser strömt mit einer enormen Energie immer weiter nach. Ein technisches Bauwerk, das diese Energien und Massen auffangen könnte, wäre nur mit erheblichem Aufwand zu realisieren. Die Küstengebiete, die man schützen müsste, sind auch viel zu groß. Also sind eigentlich nur funktionierende Frühwarnsysteme eine realistische Handlungsoption. Diese schließen auch die Identifizierung und Ausweisung von vertikalen Fluchtmöglichkeiten wie Hochhäuser in die Evakuierungspläne ein. Vielerorts wurden auch sogenannte Shelter errichtet, parkhausähnliche Strukturen zur vertikalen Evakuierung.

Also hier auch wieder der Mensch als Schlüsselfaktor?
Dr. Lauterjung: Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass es keine Toten geben wird, wenn ein größerer Tsunami auf eine Stadt trifft. Aber die Anzahl der Opfer kann deutlich verringert werden, wenn die Menschen wissen, dass ein Tsunami kommt, und Zeit haben, um zu reagieren. Wenn Fluchtorte und Fluchtwege gekennzeichnet sind und die Menschen wissen, was zu tun ist. 2004 starben an der Südküste Indiens an die 10.000 Menschen. Heute gibt es als Folge – wie in Indonesien auch – ein Frühwarnsystem. Viele Länder haben reagiert und die richtigen Schlüsse gezogen. Wir wissen aus vielen Projekten, dass häufig der Mensch das schwächste Glied der Warnkette ist. Ein wichtiger Schlüssel ist deshalb das Capacity Building, wenn es also um Wissenstransfer, Vorbeugung und Trainingsmaßnahmen geht. Diese können eine deutlich schadensmindernde Wirkung im Falle eines Tsunamis haben. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann so ein Schadensereignis eine wirklich große Stadt treffen wird. 

Vielen Dank für das Gespräch

Die Fragen stellte Oliver Jorzik (ESKP), Mai 2018