Wie kam die Giraffe zu ihrem langen Hals

Bis zu sechs Meter groß: Giraffen sind die größten an Land lebenden Tiere der Erde. Doch wie entwickelte sich ihr herausragendes Merkmal, der lange Hals? Forscher haben dafür das Erbgut der Tiere analysiert.

Wie kam die Giraffe zu ihrem langen Hals? Die zugrundeliegenden Veränderungen im Erbgut der Tiere haben Forscher aus Tansania, Kenia, Großbritannien und den USA untersucht. Das Team entzifferte dazu erstmals das Genom der Giraffe und ihres nächsten Verwandten, des Okapis. Wesentliche Veränderungen des Skeletts und des Herz-Kreislauf-Systems entstanden bei Giraffen demnach im Verlauf der Evolution vermutlich zeitgleich. Die Wissenschaftler stellen ihre Untersuchung im Fachblatt "Nature Communications" vor.

Die langen Beine und vor allem der lange Hals lassen Giraffen bis zu sechs Meter in die Höhe ragen und machen sie zu den derzeit größten landlebenden Tieren der Erde. Ihre einzigartige Statur bringt zahlreiche Herausforderungen für das Skelett sowie für das Nerven- und Herz-Kreislauf-System der Tiere mit sich. Um etwa das Blut vom Herz zwei Meter in die Höhe Richtung Gehirn zu pumpen, haben sie ein besonders leistungsstarkes Herz. Ihr Blutdruck ist zudem etwa doppelt so hoch wie bei anderen Säugetieren. Die Blutgefäße sind so angelegt, dass sie die entstehenden Druckunterschiede abfangen können, wenn die Giraffe plötzlich ihren Kopf herunterbeugt - etwa zum Trinken.

Okapis fehlt der lange Hals - warum?

Welche genetischen Veränderungen diese und andere Anpassungen ermöglichten, untersuchten die Forscher um Morris Agaba vom African Institute of Science and Technology in Arusha (Tansania) über einen Vergleich von Giraffen- und Okapi-Genom. Okapis und Giraffen stellen die beiden einzigen Gattungen in der Familie der Giraffenartigen dar. Okapis haben anders als ihre Verwandten keinen derart langen Hals. Die Wissenschaftler sequenzierten das Genom zweier Massai-Giraffen (Giraffa camelopardalis tippelskirchi), einer Unterart, die im südlichen Kenia und Tansania beheimatet ist. 

Die Analyse der Genome zeigte zunächst, dass sich die Entwicklungswege von Giraffen und Okapis später trennten als bislang angenommen: vor etwa 11,5 Millionen Jahren anstatt vor etwa 16 Millionen Jahren. Die Wissenschaftler identifizierten insgesamt 70 Gene, die bei Giraffen im Vergleich zu Okapis und zahlreichen anderen höheren Säugetieren derart verändert waren, dass sie eine Anpassung an die spezielle Biologie der Giraffe ermöglichten. 

So zeigte sich zum Beispiel die Abfolge der Bausteine in solchen Genen verändert, die unter anderem die Entwicklung der Halswirbel steuern. Giraffen haben trotz ihres langen Halses nicht mehr Wirbel als andere Säugetiere, diese sind aber extrem verlängert. Solche genetischen Abweichungen, die das Skelett der Tiere veränderten, traten gleichzeitig mit solchen auf, die das Herz-Kreislauf-System betrafen. 

Giraffen hätten wegen ihrer Größe einige physiologische und strukturelle Probleme zu bewältigen, schreiben die Forscher. Die Lösung dieser Probleme, insbesondere im Bezug auf das leistungsstarke Herz-Kreislauf-System, könnten aufschlussreich für die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bluthochdruck beim Menschen sein. 

Die Akazie ist die Lieblingsfutterpflanze der Giraffe. Tier und Baum haben sich im Verlauf der Evolution in einem gegenseitigen «Wettrüsten» immer wieder von Neuem aneinander angepasst.

Die Giraffe hat einen langen Hals. Das macht sie nicht nur zum höchsten Säugetier der Welt. Es ermöglicht es ihr auch, sich an den Blättern der Akazienbäume gütlich zu tun.

Während ihre Höhe die Akazie also vor den meisten Tierarten schützte, war dies bei der Giraffe nicht der Fall. Es mussten deshalb neue Abwehrmassnahmen her. So entstand im Verlauf der Evolution eine Art «Wettrüsten» zwischen Giraffe und Akazie.

Giraffen haben sehr bewegliche Zungen. Video: Zoo Zürich, Nicole Schnyder

Die Akazie hatte wenig Interesse daran, dass ihre Blätter von der Giraffe gefressen werden. Deshalb entwickelte sie lange Stacheln, um die Blätter vor den Mäulern der langhalsigen Tiere zu schützen.

Lange Zunge gegen spitze Dornen

Doch die Giraffe reagierte ihrerseits auf den Abwehrmechanismus der Akazie. Sie entwickelte eine lange, bewegliche Zunge und unempfindliche Lippen, mit denen sie trotz der Dornen an die begehrten Blätter herankommt.

Wie kam die Giraffe zu ihrem langen Hals

Netzgiraffe Irma schnappt sich ein paar Blätter in der Lewa Savanne. Foto: Zoo Zürich, Peter Bolliger

Die Akazie musste deshalb erneut «aufrüsten». Sie tat dies mit Bitterstoffen in den Blättern. Die Bitterstoffe werden produziert, sobald der Baum angefressen wird, und sorgen dafür, dass die Giraffe nach kurzer Zeit mit dem Fressen aufhören muss.

Warnung mit Botenstoff

Die Akazie ging dabei noch einen Schritt weiter. Wird ein Baum angefressen, sendet dieser Botenstoffe an die benachbarten Bäume aus. Der Botenstoff «warnt» die Bäume vor der Anwesenheit der Giraffen und regt die Bitterstoffproduktion in den Blättern an, noch bevor diese angefressen sind.

Wie kam die Giraffe zu ihrem langen Hals

Trinken ist für Giraffen eine akrobatische Übung: Jahi in der Lewa Savanne. Foto: Zoo Zürich, Enzo Franchini

Die Botenstoffe angefressener Akazien werden vom Wind verbreitet. Diesen Umstand nutzte die Giraffe wiederum für eine weitere Anpassung ihrerseits: die Tiere fressen die Blätter der Akazie vornehmlich gegen die Windrichtung. Damit stellt das Tier sicher, dass der von ihr auserkorene Baum nicht bereits durch Botenstoffe anderer Akazien vorgewarnt worden ist und so auch noch keine Bitterstoffe in den Blättern produziert hat.

Wie kam die Giraffe zu ihrem langen Hals

Die Netzgiraffen Malou und Luna (r.) beim Fressen. Foto: Zoo Zürich, Albert Schmidmeister

Gewisse Akazien haben einen weiteren Trick auf Lager: sie stellen verschiedenen Ameisenarten Nestmöglichkeiten und Nahrung zur Verfügung. Die Ameisen nutzen dieses Angebot und beschützen «ihren» Baum im Gegenzug vor Angreifern, unter anderem eben auch Giraffen.

Wie kam die Giraffe zu ihrem langen Hals

Damen-Quartett: Irma, Jahi, Luna und Malou. Foto: Zoo Zürich, Enzo Franchini

Bei allem Wettrüsten gibt es aber doch auch Situationen, in denen Giraffe und Akazie voneinander profitieren. So können die Giraffen zur Bestäubung der Akazie beitragen, indem sie während der Blütezeit die Pollen von Baum zu Baum tragen.

Noch mehr Giraffen-Infos

Who is who

In der Lewa Savanne im Zoo Zürich leben derzeit vier Netzgiraffen: Irma, Jahi, Luna und Malou. Doch wer ist wer?

Wie kam die Giraffe zu ihrem langen Hals

Jahi hat die dunkelste Färbung von allen vier Giraffen, insbesondere im Gesicht. Ausserdem ist die Musterung auf ihrer Brust fast perfekt symmetrisch. Jahi ist die Mutigste der Gruppe. Foto: Zoo Zürich, Albert Schmidmeister

Wie kam die Giraffe zu ihrem langen Hals

Irma hat einen ganz eigenen Farbton: sie hat ein warmes, Caramel-farbiges Braun. Irma ist die jüngste und im Moment auch noch sichtbar die kleinste der vier Giraffen. Sie ist an allem Neuen interessiert. Foto: Zoo Zürich, Albert Schmidmeister

Wie kam die Giraffe zu ihrem langen Hals

Malou ist vorsichtigste der Gruppe und wartet im Zweifelsfall lieber in sicherer Distanz ab. Malou erkennt man zudem gut an ihrer asymmetrischen Brustmusterung. Foto: Zoo Zürich, Marco Schaffner

Wie kam die Giraffe zu ihrem langen Hals

Luna hat die hellste Färbung von allen und insbesondere am Kopf viel weiss. Auch die weissen «Trennlinien» zwischen den braunen Flecken sind bei ihr sehr ausgeprägt. Foto: Zoo Zürich, Goran Basic

Mehr über die vier Giraffen-Damen in der Lewa Savanne des Zoo Zürich, etwa wo sie herkommen, gibt es hier zu erfahren:

Lewa-Tagebuch

Die Lewa Savanne ist die dritte grosse Anlage, die der Zoo Zürich im Rahmen des Masterplans 2020 erstellt hat. Sie ist seit dem 6. Juni 2020 eröffnet. Unter folgendem Link gibt es unteren anderem Live-Webcams aus der Anlage.

Lewa Savanne entdecken

Naturschutzprojekt Lewa

Die Lewa Savanne ist eng verbunden mit dem Lewa Wildlife Conservancy in Kenia. Der Zoo Zürich unterstützt das Reservat seit 1998.

Naturschutzprojekt Lewa

Das Lewa-Naturschutzprojekt im Kurzvideo.