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17.08.2017, 14:28 Uhr
Grundsätzlich ist die Ernährungsform Paleo nichts Schlechtes: Verboten sind Getreide, Zucker, Alkohol, Milchprodukte und Hülsenfrüchte. Der aktuelle Paleo-Trend geht aber zu weit: 100 Prozent roh – auch rohes Fleisch. Das kann gefährlich sein. Die Paleo-Ernährung orientiert sich an der ursprünglichen Ernährung der Jäger und Sammler. Sie heißt deshalb auch Steinzeitdiät. Verboten sind Lebensmittel wie Getreide, Zucker, Alkohol, Milchprodukte und Hülsenfrüchte. Außerdem verarbeitete und Convenience-Produkte. Dafür darf man viel Gemüse, hochqualitative tierische Proteine, gute Fette und ein bisschen Obst, das nicht zu viel Fruchtzucker enthält, zu sich nehmen. Klingt kompliziert, manch einer schwört aber drauf. 100 Prozent rohWie es mit Trends so ist, entwickeln sich diese auch weiter. Nicht immer zum Positiven. Eine neue Welle von Paleofans hat für sich die 100-Prozent-Roh-Ernährung entdeckt. Man könnte meinen, dass es sich bei dieser Ernährungsform ausschließlich um rohes Gemüse, vielleicht noch rohen Fisch handelt, den man ja öfter als Sushi isst. Dem ist leider nicht so und das macht die Ernährung so gefährlich. Die Anhänger dieser Ernährung essen nicht nur rohe Eier oder Rindertartar, sondern auch rohes Hühnchen, rohe Würstchen, rohes Lammfleisch und manchmal sogar rohes Hackfleisch - direkt aus der Plastiktüte wie die amerikanische Foodbloggerin Melissa Henig. Dieses Verhalten ist bedenklich. Gegen eine rohe Möhre ist nichts einzuwenden. Bei Fleisch und Fisch ist aber Vorsicht geboten, es könnte zu Krankheiten führen: "Viel roher Fisch führt beispielsweise in Japan zu einer höheren Rate an Magenkrebs. Rohes Ei und Geflügel kann mit Salmonellen belastet sein", sagt die Ernährungsexpertin Dagmar von Cramm. Melissa Henig aber schwört, seit sie sich Roh-Paleo ernährt, sei sie stärker als je zuvor und hätte mehr Muskeln. In ihrem Buch "Raw Paleo: The Extreme Advantages of Eating Paleo Foods in the Raw" behauptet sie, dass diese Ernährung dabei hilft, "Giftstoffe" aus dem Körper zu entfernen, während er mit reichlich Nährstoffen versorgt wird. Wissenschaftliche Belege gibt es dazu keine. Hinzu kommt: Henig ist im siebten Monat schwanger, auf ihrem Speiseplan stehen roher Fisch, Rohmilch und rohes Fleisch. Die "Deutsche Gesellschaft für Ernährung" rät von diesen Lebensmitteln in der Schwangerschaft vehement ab. Zu groß ist die Gefahr von Toxoplasmose und Listeriose, die durch Parasiten beziehungsweise Bakterien verursacht werden, die durch rohe Lebensmittel auf den Menschen übertragen werden. Für das ungeborene Kind könnte das zu schweren Erkrankungen bis hin zum Tod des Kindes führen. Henig aber ignoriert diese Warnungen, so ist es zumindest auf ihrem Instagram-Kanal zu sehen. Ernährungsexpertin Dagmar von Cramm sieht die Paleo-Ernährung, die vor allem viel Fleisch beinhaltet, kritisch: "In meinen Augen führt das zu einer extrem proteinreichen Ernährung, die langfristig das Säure-Basen-Gleichgewicht aus dem Lot bringen und zu Osteoporose führen kann. Die Epic Studie ergab ein erhöhtes Diabetes Risiko. Auch die Gefahr an Rheuma zu erkranken, steigt." Auch andere Foodblogger folgen Henigs Beispiel und essen Fleisch roh. Beispielsweise "Gesundheitsbloggerin" Christina Rice. Sie behauptet, wer Fleisch brät, zerstöre die natürlichen Enzyme im Fleisch, die dem Verdauungsprozess helfen. Sie isst beispielsweise rohe Hühnchenfleischbällchen. Eine anderer Instagram-User ließ sich von Melissa Henig inspirieren und versuchte sein Glück mit Hühnchen-Ceviche. Ceviche wird normalerweise mit Fisch zubereitet. Dazu wird roher Fisch im Limettensaft gegart, die Eiweiße denaturieren, der Fisch ist wie gekocht. Die Qualität des Fischs ist entscheidend, um sich keine Bakterien einzufangen. Das größte Problem beim rohen Fleischverzehr: Meist ist das Fleisch gar nicht frisch. Vermutlich wurde es gefrostet, verarbeitet und haltbar für den Verkauf gemacht. Die meisten Bakterien sterben, wenn Fleisch bei hoher Hitze gebraten wird. Bei rohem Fleisch aus dem Supermarkt steht deshalb meist der Vermerk "Nicht roh verzehren" auf der Verpackung. Die obigen drei Gerichte könnten durch Bakterien wie E.coli, Salmonellen, Würmer oder Viren wie Hepatits E kontaminiert sein. Aus gesundheitlicher Sicht ist eine solche Ernährung besorgniserregend. Vor allem, wenn man sie in den sozialen Netzwerken – ohne fundierte wissenschaftliche Belege – propagiert.
Was, du isst so etwas? Die Frage betrifft meine Bestellung eines Rindfleischtatars im Restaurant. Ja, und sogar gerne. Nur weil ich Lebensmittelwissenschaften studiert habe, bedeutet dies nicht, dass ich keine Freude am Essen hätte oder Panik vor sämtlichen Bakterien, die sich auf meinem Teller tummeln könnten. Gerade weil ich einmal ganz viel über Mikrobiologie gelernt habe, traue ich es mir zu, die möglichen vorhandenen Risiken abschätzen zu können. Da ich weder schwanger noch ein Kleinkind noch ein gebrechlicher Senior bin, traue ich meinem Immunsystem auch zu, durchaus mit den einen oder anderen eventuell vorhandenen Krankheitserregern klarzukommen, die durchs Erhitzen abgetötet würden. Ein Tatar oder Carpaccio wird aus hochwertigem Muskelfleisch wie Filet zubereitet und ist fett- und kalorienarm. Rohes Fleisch ist reich an Vitaminen wie Niacin, B1, B2 und Vitamin B12. Sie alle gehören zu den wichtigen Nervenvitaminen. Eine Studie, die im November 2010 im Journal of the Pakistan Medical Association veröffentlicht wurde, zeigte auf, dass die Vitamine B1, B2 und Niacin nach einer Kochzeit von rund 15 Minuten um ein Viertel bis ein Drittel reduziert wurden. Ausserdem sind alle B-Vitamine wasserlöslich und gehen beim Kochen mehr oder weniger in das Kochwasser über. Deshalb enthält ein Tatar deutlich mehr wertvolle B-Vitamine als ein Ragout oder Siedfleisch. Das ist Derek Nance. Vor fünf Jahren hatte Derek eine seltsame Krankheit, die seinen Appetit tötete und ihn alles, was er aß, wieder erbrechen ließ. Die Ärzte dachten, es wäre eine Allergie, also änderte Derek seine Ernährung. Zuerst verzichtete er auf Weizen und Milchprodukte, doch es half nichts, er nahm immer mehr ab. In seiner Verzweiflung recherchierte er im Internet und chattete mit Leuten, die scheinbar lebensrettende Ernährungstipps auf Lager hatten. So probierte er eine mediterrane Diät (Fisch und Gemüse), dann ließ er den Fisch weg und wurde Veganer, doch es wurde nicht besser. Schließlich empfahl ihm ein Typ mit ähnlichen Symptomen die karnivore Version der paläolithischen Diät. Weil er nichts mehr zu verlieren hatte, gab Derek dem rohen Fleisch eine Chance. Das ist jetzt fünf Jahre her. Mittlerweile putzt er sich sogar mit Tierfett die Zähne. Aus irgendeinem Grund, der mir selbst nicht ganz klar ist, wollte ich mit eigenen Augen sehen, wie Derek isst. Er war einverstanden und wir haben uns in Kentucky, USA, wo er lebt, verabredet. Wir unterhielten uns über lebenswichtige Organe, Gammelfleisch und über Gesundheit, die für Derek im Mittelpunkt steht. Er hat sich nie gesünder gefühlt. VICE: Hi Derek, kannst du mir mehr über deine Ernährungsweise erzählen? Von wem kam die Idee? Hattest du irgendwelche Zweifel? Hat dir das den Magen verdorben? Dereks Abendessen. Lammstücke und Fett. Du hast seitdem also nichts Anderes mehr gegessen? Wie vermeidest du Skorbut? Dereks Quelle für Vitamin C Was machst du, wenn du zum Abendessen eingeladen wirst? Hast du nicht irgendwann keine Lust mehr, immer das Gleiche zu essen? OK, und du isst vergammeltes Fleisch. Warum tust du das? Besser als Actimel: Derek lässt ein paar Lammstücke in einem Behälter verfaulen, bevor er sie isst. Hast du deine Ernährung schonmal einem Vegetarier erklärt? Joanne, du bist Vegetarierin? Redet ihr über eure Meinungsverschiedenheiten? Derek, fühlst du dich wohl dabei, Tiere zu schlachten? „Das ist ein Shetlandschaf mit einem sehr milden und süßlichen Geschmack. Ich breche den Schädel auf und esse das Hirn. Es ist eine Art Delikatesse, deshalb werde ich es mir fürs Wochenende aufbewahren.“ Was ist der größte Nachteil dieser Diät? Dass man zum Außenseiter wird. Meine Familie denkt, dass ich durchgedreht bin. Sie glauben wirklich, dass ich völlig irre bin, und ich weiß nicht, warum. Sie können es einfach nicht akzeptieren, dass ich rohes Fleisch esse. Mein Vater hat einen Master in Biologie und erzählt mir, dass ich Krankheitserreger aufnehme, wenn ich rohes Fleisch esse. Joanne: Ja, es ist verrückt. In ihrer Nähe darf ich Dereks Ernährung nichtmal erwähnen. Sie reagieren extrem emotional darauf und sagen Sachen wie: „Es ist falsch! Er wird daran sterben.“ Willst du die Ernährungsweise jemals aufgeben? Vor Kurzem bist du Schlachter geworden. Kannst du mir davon erzählen? |