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Noch nie in über 1.500 Jahren war der Golfstrom so schwach wie in den letzten Jahrzehnten. Dies ist das Ergebnis einer neuen Studie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Irland, Großbritannien und Deutschland. Ganz besonders schlapp wurde die für das Europa-Wetter so wichtige Ozeanzirkulation im 20. Jahrhundert. Der Zusammenhang mit dem vom Menschen verursachten Klimawandel liegt auf der Hand. Das empfindliche Klimasystem im Nordatlantischen Raum droht zu kippen. Die katastrophalen Folgen sind im Grunde noch gar nicht absehbar. Alle weiteren News rund um den Klimawandel Das ist der Golfstrom Die Folgen der Golfstrom-Abschwächung sind für die Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks enorm.
„Durch die Abschwächung des Golfstroms könnte es im Bereich der Atlantischen Hurrikan-Saison mehr und vor allem stärkere Stürme geben. Denn durch den schwächer werdenden Golfstrom in Richtung Norden und Nordatlantik steht zu befürchten, dass sich die Meeresoberfläche in den tropischen Bereichen erwärmen. Und wärmeres Wasser bedeutet leider auch mehr Energie, die dann eben zur erhöhten Sturm- und Hurrikan-Aktivität führt.“ Das warme Wasser im nordöstlichen Atlantik erwärmt auch die Luft in Mittel- und Nordeuropa. So herrschen hier im Winter relativ milde Temperaturen und im Sommer wird es auch weit in den Norden noch relativ warm. Auf der anderen Seite des Atlantiks ist das Klima bei gleichem Breitengrad, beispielsweise in Kanada, viel rauer, die Winter mit oft massenweise Schnee und Schneestürmen heftiger. Der Golfstrom wirkt wie eine große Wärmepumpe auf der Nordhalbkugel. Er wird auch Atlantische Meridionale Umwälzzirkulation (englisch: Atlantic Meridional Overturning Circulation, kurz AMOC) genannt, da das Wasser von Süd nach Nord und wieder zurück ungefähr entlang der Längengrade der Nordhalbkugel ausgetauscht wird. Von Süden aus der Karibik fließt warmes und salzhaltiges Oberflächenwasser nach Norden bis zur norwegischen Küste. Auf dem Weg dorthin kühlt es ab und wird dadurch dichter. Wenn es schwer genug ist, sinkt das Wasser in tiefere Ozeanschichten ab und fließt zurück in den Süden. Die globale Erwärmung stört diesen Mechanismus: Durch vermehrte Niederschläge und das Abschmelzen des grönländischen Eisschildes wird dem nördlichen Atlantik Süßwasser zugeführt. Dadurch sinkt dort der Salzgehalt und damit die Dichte des Wassers, was das Absinken hemmt und so die Strömung des Golfstromsystems schwächt. „Wir haben zum ersten Mal eine Reihe von früheren Studien kombiniert und festgestellt, dass sie ein konsistentes Bild der AMOC Entwicklung über die letzten 1.600 Jahre liefern “, erklärt Stefan Rahmstorf, Forscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK und Initiator der Studie, die in Nature Geoscience veröffentlicht wurde. „Die Studienergebnisse legen nahe, dass die AMOC Strömung bis zum späten 19. Jahrhundert relativ stabil war. Mit dem Ende der kleinen Eiszeit um 1850 begann die Meeresströmung schwächer zu werden, wobei seit Mitte des 20. Jahrhunderts ein zweiter, noch drastischerer Rückgang folgte. “ Sogenannte Proxydaten halfen ihnen dabei, mehr über die langfristige Entwicklung des Golfstroms herauszufinden. Diese Zeugen der Vergangenheit werden aus natürlichen Umweltarchiven gewonnen, wie zum Beispiel Baumringen, Eisbohrkernen, Ozeansedimenten und Korallen sowie aus historischen Daten, z.B. Schiffslogbüchern. Kälteblase im Atlantik: Weiteres Indiz für die Golfstrom-SchwächungDie Abschwächung wird auch mit einer einzigartigen deutlichen Abkühlung des nördlichen Atlantiks gebracht. Denn mittendrin im Klimawandel macht der nördliche Atlantik bei der globalen Erwärmung nicht mit. Diese sogenannte „Kälteblase" entsteht offenbar dadurch, dass weniger Wärme in die Region transportiert wird. Dem Golfstrom geht eben die Puste aus. Auswirkungen der Kälteblase auf das Wetter in EuropaDie neue Kälteblase im Atlantik beeinflusst unser Wetter – das ist klar. Drei extreme Abweichungen vom gemäßigten Klima wurden bereits festgemacht.
„Wenn wir die globale Erwärmung auch künftig vorantreiben, wird sich das Golfstrom-System weiter abschwächen – um 34 bis 45 Prozent bis 2100, gemäß der neuesten Generation von Klimamodellen “, folgert Rahmstorf. „Das könnte uns gefährlich nahe an den Kipppunkt bringen, an dem die Strömung instabil wird.“ Die Folgen für Mensch und Natur sind noch gar nicht abzusehen. Weitere Studien zum GolfstromDas Wetter für unterwegs: die wetter.de-AppBei wechselhaftem Wetter sollten Sie stets die neuesten Prognosen zu Rate ziehen. Laden Sie dafür die wetter.de-App für Apple- und Android-Geräte herunter.
Das Golfstromsystem zählt zu den stärksten Strömungssystemen in den Ozeanen: Vor Florida etwa ist es mit 32 Millionen Kubikmetern Wasser pro Sekunde unterwegs, etwa 30 Mal so viel, wie alle Flüsse der Erde zusammen transportieren.
Angetrieben von Winden, der Erdrotation und Unterschieden in der Wasserdichte strömt das warme Wasser durch den Atlantik und Richtung Arktis. Über dem Strom erwärmen sich Luftmassen, die auf dem europäischen Kontinent für milderes Klima sorgen als an anderen Orten auf den gleichen Breitengraden.
Erst seit 2004 kann die Stärke des Golfstromsystems unmittelbar gemessen werden, über Tausende Treibbojen entlang seines Weges. Um zu ermitteln, wie es Jahrzehnte oder Jahrhunderte zuvor aussah, müssen Stellvertreterdaten herangezogen werden. Das sind zum Beispiel die seit etwa 1870 aufgezeichneten Wassertemperaturen, vor allem aber der Meeresboden, in dessen Sedimenten die klimatische Vergangenheit Schicht für Schicht eingezeichnet ist. "Hier kann zum Beispiel anhand der Größe der abgelagerten Sedimentkörner eine Aussage über die Geschwindigkeit der bodennahen Strömung gemacht werden, denn eine schnellere Strömung kann größere Körner mit sich tragen. Aber auch die Zusammensetzung der abgelagerten Kalkschalen von Korallen wurden untersucht." Die Strömung ist heute so schwach wie nie, doch sie verhält sich dabei nicht linear. "In den letzten Jahrzehnten gab es durchaus auch Zeiträume, in denen das Golfstromsystem wieder an Stärke zugenommen hat. Das sehen wir an den Daten zum Beispiel seit Mitte der 1980er-Jahre. Wobei es dann ab Anfang der 2000er wieder deutlich abgenommen hat, was wir auch in den direkten Messdaten des Golfstromsystems seit 2004 sehen. In den letzten Jahren hat sich das Golfstromsystem auf einem relativ niedrigen Niveau gehalten."
Und der Grund für die Schwäche? Noch fehlen Belege, aber vieles spricht für den Menschen als Verursacher. "Der langfristige Trend ist ziemlich sicher zum Teil auf den menschengemachten Klimawandel zurückzuführen. Darauf deutet einerseits seine Einzigartigkeit in den letzten 1600 Jahren hin, sowie der Fakt, dass wir wissen, dass es infolge der globalen Erwärmung zu vermehrten Süßwasser-Einträgen in den Nordatlantik kommt. Und diese schwächen das Golfstromsystem."
Das Golfstromsystem funktioniert als Kreislauf – und der Rückweg Richtung Äquator derzeit noch so wie seit Tausenden von Jahren: Das Wasser, in der Arktis angekommen, hat viel von seiner Wärme verloren und ist durch Verdunstung salziger geworden. Deshalb sinkt es, nun schwerer, in die Tiefe, von wo es wieder Richtung Südatlantik strömt. Die großen Mengen an Süßwasser aber, die in der Arktis durch das geschmolzene Eis entstehen, sinken nicht hinab und verlangsamen dadurch den Prozess des Strömungskreislaufs.
Es existieren neben dem Golfstromsystem noch weitere Kippelemente im Erdklimasystem, von denen man annimmt, dass sie ab einem gewissen Punkt der Erderwärmung irreversibel und unumkehrbar zerstört sind. Dazu zählt auch das Grönländische Eisschild: Solange das Eis dort vorhanden ist, reflektiert es die Sonnenstrahlen und schickt sie zurück ins All. Der zunehmende Anteil der nicht von Eis bedeckten Flächen dagegen nimmt Strahlen und Wärme auf, was zum Abtauen und zu weiteren eisfreien Flächen führt.
Durch den Rückgang des Eises wird zudem die Luft weniger gekühlt, wodurch sich die durchschnittliche Temperatur weiter erhöht. Zwei sich selbst verstärkende Effekte, sogenannte Rückkopplungsmechanismen. Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Kipppunkt in der Arktis bereits überschritten, der Prozess also nicht mehr aufzuhalten ist.
Auch für das Kippelement Golfstromsystem existiert ein Kipppunkt – ein Moment, an dem seine lineare Abschwächung nicht mehr aufzuhalten ist. Doch wo der liegt – oder wie nahe wir bereits dran sind – das ist nicht bekannt. Das zu erwartende Arktis-Schmelzwasser etwa muss den Strom nicht unbedingt zum Erliegen bringen, erklärt der Ozeanograf Johann Jungclaus vom Max-Planck-Institut für Meteorologie Hamburg. Denn der Klimawandel kann an anderer Stelle auch entgegengesetzte Rückkopplungseffekte verursachen: "Im Golf von Mexiko, da wo das Wasser eigentlich herkommt, das nach Norden transportiert wird, gibt es mehr Verdunstung. Das Wasser wird salziger. Und dieses wird dann, vielleicht mit weniger Geschwindigkeit, aber dennoch nach Norden transportiert, und das kann diese Abschwächung der Zirkulation wieder aufhalten. Und von dieser Sorte gibt es nicht nur einen, sondern mehrere Rückkopplungsmechanismen, die das Ganze relativ kompliziert machen." Sicher scheint, das sagen alle Studien voraus, dass der Strom zukünftig noch schwächer wird. "Man hat so im Mittel etwa 30 bis 35 Prozent Abschwächung bis 2100 gefunden. Es gibt aber auch Modelle, wo es einen viel stärkeren Zusammenbruch gab, einige wenige. Das heißt, wir bewegen uns da immer noch in einem Bereich von ziemlicher Unsicherheit." Sollte der unbekannte Kipppunkt doch erreicht werden und die Golfstromzirkulation versiegen, sind die Folgen kaum abzuschätzen: Der Wasserspiegel würde steigen, besonders stark in Nordamerika, und die marinen Ökosysteme unter dem wohl geringer werdenden Sauerstoffgehalt leiden. In Europa werden schwere Stürme erwartet – sogar von einer neuen Eiszeit war schon die Rede. Aber: Auch hier könnte der Klimawandel gegenteilige Effekte bringen. "Dort sagen eigentlich alle Studien: Selbst wenn es zu einer Verringerung dieser Zirkulation kommt, dass die globale Erwärmung gewinnt. Das heißt, auch die Arktis, auch Nordwesteuropa wird wärmer." Wo der Kipppunkt beim Golfstromsystem liegt, ist derzeit nicht vorherzusagen. Sicher aber ist, wenn er erreicht wird, hätte das fatale und unumkehrbare Folgen. Und: Es würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass auch andere Kippelemente fallen, etwa die Permafrostböden mit ihren Billionen Tonnen gespeichertem CO2. "Der gefährlichste Tipping-Point, den es überhaupt gibt, sind wahrscheinlich die westantarktischen Eisschilde. Da können über einen Zeitraum, vielleicht auch von Hunderten von Jahren, soviel Eismassen in den Ozean gelangen, dass wir tatsächlich von mehreren Metern Meeresspiegelanstieg sprechen müssen. |