Warum ist das Bild auf der Netzhaut verkehrt herum

Vor hundert Jahren stand die Welt für den Psychologen George Stratton eine Woche lang Kopf.

Reto U. Schneider 01.04.2004, 03.00 Uhr

ES WAR 12 UHR MITTAGS , als George Stratton seinem Gehirn eine Aufgabe stellte, vor der noch nie zuvor ein Gehirn gestanden hatte. Der 31-jährige Psychologe von der University of California in Berkeley zurrte eine Art Maske am Gesicht fest: einen gepolsterten Gipsabdruck seiner Augenpartie, aus dem am Ort des rechten Auges ein kurzes Rohr mit vier Linsen ragte. Das linke Auge war zugegipst. Sofort wurde jede Aktion zur umständlichen Kette aus kurzen Bewegungen und ständigen Korrekturen: Die Linsen vor Strattons rechtem Auge stellten seine Welt auf den Kopf. Was oben war, war unten, und umgekehrt. Sieben Tage lang wollte er beobachten, wie sein Gehirn mit der neuen Weltsicht umgehen würde.

Strattons Experiment sollte 1896 ein jahrhundertealtes Rätsel lösen. 1604 beschrieb Johannes Kepler, wie ein Bild auf der Netzhaut unserer Augen zustande kommt. Ein paar Jahre später kratzte einer die Lederhaut vom hinteren Teil eines Ochsenauges und sah, dass Kepler recht hatte: Die Strahlen kreuzen sich in der Linse des Auges. Das Bild, das auf die Netzhaut fällt, zeigt die Welt auf dem Kopf.

Warum sehen wir sie dann aufrecht? Diese Frage ist zwar naheliegend, aber sinnlos. Es gibt im Gehirn keinen kleinen Mann, der das verkehrte Bild auf einer Leinwand betrachtet und merkt, dass es auf dem Kopf steht. Das Netz von Gehirnzellen, das die Signale vom Auge verarbeitet, kennt kein oben und unten. Das Gehirn stellt einfach einen einheitlichen Eindruck aus Bild, Ton und Tastempfindungen her, damit wir den Fuss dort spüren, wo wir ihn sehen, und umgekehrt.

Doch es gab eine zweite Frage: Muss das Bild auf der Netzhaut auf dem Kopf stehen, damit wir die Welt aufrecht wahrnehmen können? Oder könnte sich das Gehirn auch an eine andere Orientierung gewöhnen?

Am Anfang des Experiments litt Stratton unter leichter Übelkeit. Jede Drehung seines Kopfs schien alles um ihn herum in Bewegung zu setzen. Das alte Bild der Welt erwies sich als hartnäckig. Wenn Stratton sich einen eben verkehrt gesehenen Gegenstand ins Gedächtnis rief, drehte sein Hirn ihn sofort um. Wollte er nach etwas greifen, bewegte er die falsche Hand. Seine Notizen machte er, ohne aufs Blatt zu schauen, die ungewohnte Sicht hätte ihm das Schreiben verunmöglicht. Je länger das Experiment dauerte, desto stärker passte sich das Gehirn jedoch an. Am fünften Tag konnte Stratton wieder durchs Haus gehen, ohne alles mit den Händen ertasten zu müssen.

Am längsten dauerte die Umstellung bei der Wahrnehmung seines eigenen Körpers. Strattons Gehirn versuchte ständig, aus den widersprüchlichen Signalen von Augen, Ohren und Haut eine Einheit zu bilden. Solange er seine Arme und Beine nicht sah, fühlte er sie am alten Ort, doch wenn sie ins Blickfeld gerieten und er sich stiess, meldete das Gehirn den Stoss von dort, wo er das Bein sah. Das führte zu bizarren Täuschungen: Sah Stratton nur einen Fuss, stellte er sich den anderen in der alten Repräsentation vor: 180 Grad in die andere Richtung.

Das Sehen triumphierte auch über das Hören: Das Tappen seiner Schritte schien, verglichen mit der alten Sicht, aus der gegenüberliegenden Richtung zu kommen. Einzig jene Körperteile, die er im eingeschränkten Gesichtsfeld der Umkehrbrille nicht sehen konnte, widersetzten sich der Umstellung. Obwohl er beim Essen die Gabel aus seiner Perspektive zu einem Ort oberhalb seiner Augen führte, wurde die Illusion, dort befinde sich sein Mund, durch die Berührung der Lippen sofort zerstört. Ab und zu gelang ihm der kubistische Akt, seine Stirn unterhalb seiner Augen zu fühlen: Für einen Moment hatte er den Mund in der Stirn.

In Lehrbüchern wird oft der Eindruck erweckt, gegen Ende des Experiments habe Stratton die Welt wieder dauernd aufrecht gesehen. Tatsächlich konnte er den Eindruck einer aufrechten Welt nur mit grosser Konzentra tion und für kurze Momente gewinnen.

Trotzdem kam er nach 87 Stunden mit der Umkehrbrille – in der Nacht trug Stratton eine Augenbinde – zum Schluss: «Das umgekehrte Bild auf der Netzhaut ist nicht erforderlich für ‹aufrechtes Sehen›.» Das Gehirn könne aus einem gedrehten Bild die Harmonie herstellen zwischen dem, was man sieht, und dem, was man spürt.

Diese Harmonisierung der Sinne enthält die eigentliche Bedeutung von «aufrecht sehen». Denn das Gesehene kann nicht für sich aufrecht oder verkehrt stehen, sondern nur in Beziehung zu dem, was die anderen Sinne melden. Dass die Welt für Stratton am Schluss des Experiments noch immer meistens auf dem Kopf stand, hatte nicht damit zu tun, dass sich sein Gehirn der neuen Sicht nicht angepasst hatte, sondern damit, dass es sich noch daran erinnerte, wie die Welt vorher ausgesehen hatte.

Als Stratton seine Umkehrbrille absetzte, kam ihm zwar fremd vor, was er sah, aber die Welt stand aufrecht. Er benutzte die falsche Hand, wenn er nach etwas greifen wollte, und duckte sich, wenn er sich eigentlich strecken wollte. Doch diese Störungen waren nach einem Tag verschwunden.

Das Experiment wurde wiederholt und erweitert. Die Versuchspersonen trugen beispielsweise Spiegel, die den Blick umlenkten, als hätten sie ihre Augen im Rücken. Die Resultate blieben im Wesentlichen dieselben. Das Gehirn kann sich anpassen. Die Leute gingen mit Umkehrbrillen sogar bergsteigen und fuhren mit dem Velo durch den Stossverkehr.

Dieser Artikel stammt aus dem Magazin NZZ Folio vom April 2004 zum Thema "Aus dem Osten". Sie können diese Ausgabe bestellen oder NZZ Folio abonnieren.

02.02.2001, 00:00 Uhr lat

Damit wir einen Gegenstand sehen können, müssen die Lichtstrahlen von der Linse so gebrochen und gebündelt werden, dass auf der Netzhaut ein scharfes Bild entsteht, dies ist allerdings seitenverkehrt. Für die Abbildung eines nahen Gegenstandes muss sich die Linse wölben, ist er weiter entfernt, muss sie sich abflachen, eingestellt wird die Linse vom Strahlenmuskel. Die Iris mit der Pupille als Lichteinlass hat die Funktion einer Blende, bei großer Helligkeit erweitert sie sich, bei Dunkelheit zieht sie sich zusammen. Auf der Netzhaut befinden sich Zapfen und Stäbchen, dies sind die lichtempfindlichen Sehzellen. Diese Photorezeptoren wandeln den eintreffenden Lichtreiz in ein elektrisches Signal um. Die Nervenfortsätze der Sehzellen vereinigen sich zum Sehnerv, das Signal wird über diesen Nerv an das Gehirn weitergeleitet, erst dort wird das seitenverkehrte Bild wieder auf die Füße gestellt. Wo der Sehnerv den Augapfel verlässt, liegt der blinde Fleck, jene Stelle, an der sich keine Sinneszellen befinden.

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Mit dem menschlichen Auge befassen wir uns in diesem Artikel. Dabei wird hier der Fokus in erster Linie auf die Optik gelegt, daher gehört dieser Artikel auch zum Bereich Optik.

Warum ist das Bild auf der Netzhaut verkehrt herum

Erst einmal ein kurzer Hinweis: Für alle, die auf der Suche nach Formeln zum menschlichen Auge sind, bieten wir einen weiteren Artikel an. Da das Auge mathematisch wie eine Sammellinse behandelt werden kann, empfehlen wir euch dazu den Artikel Optische Linsen. Dort geben wir entsprechende Formeln und Beispiele zur Berechnung an.

Ein gesundes Auge sieht Gegenstände in einer Entfernung von mindestens 25 cm scharf. Dieser Abstand wird auch als "deutliche Sehweite" bezeichnet. Die folgende Grafik zeigt den Verlauf des Lichtes zum Auge. Aus diesem lässt sich auch erkennen, dass das Bild auf der Netzhaut verkehrt herum abgebildet wird. Wieso sehen wir dann aber alles "richtig" herum? Die Antwort: Das Gehirn dreht das Bild rum.

Warum ist das Bild auf der Netzhaut verkehrt herum

Leider kommt es immer mal wieder vor, dass Menschen mit den Augen Probleme haben. Und das nicht nur in höherem Alter. Zwei der sehr häufig vorkommenden Augenfehler werden als "Weitsichtigkeit" bzw. "Kurzsichtigkeit" bezeichnet. Bei der Weitsichtigkeit werden Gegenstände die sehr nahe am Auge sind nicht mehr scharf abgebildet. Eine Sehhilfe (z.B. Brille) mit den Eigenschaften einer Sammellinse (positive Dioptrinzahl) hilft in diesem Fall. Im umkehrten Fall - der Kurzsichtigkeit - können Gegenstände die weit weg vom Auge sind nicht mehr scharf gesehen werden. In diesem Fall hilft eine Zerstreuungslinse um wieder richtig zu sehen.

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Hey. Unser Auge zeigt das Bild eigentlich verkehrt herum, aber wieso sehen wir es dann richtig ? So weit ich weiß dreht uner Gehirn das Bild, aber reicht dies als einfache Erklärung ?

Ich brauche diese Antwort für meine Physik Hausaufgabe, aber mehr Informationen kriege ich aus dem Internet nun auch nicht ):

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Warum ist das Bild auf der Netzhaut verkehrt herum

Von der Optik her ist es so: Durch die Linse wird das einfallende Licht gedreht, d. h. Licht, das von einem Objekt oben ausgeht, trifft die Netzhaut im unteren, Licht, das von unten kommt, die Netzhaut im oberen Teil. So gesehen trifft das bild auf der Netzhaut falschherum auf. Nun leitet jetzt aber die Netzhaut kein Bild als ganzes an das Gehirn weiter, dass dann irgendwo gedreht werden würde. Sondern die einzelnen Nervenzellen melden dem Gehirn, dass sie mehr oder weniger aktiviert worden sind. Dieses "Impulsgewitter" - in dem es kein oben oder unten gibt - verbindet sich im Gehirn dann zu dem Gesamteindruck, der zusammen mit unserer Erfahrung der Dinge wieder so etwas wie oben oder unten ergibt. Säuglinge können mit dem Impulsgewitter zunächst noch keine oder wenig Erfahrung verbinden - das lernen sie ja erst. Es gibt also keine Phase, in der sie erstmal falsch herum sehen, die Kategorie oben/unten existiert einfach noch nicht. Wenn man jetzt eine Umkehrbrille trägt, verbindet das Gehirn die Erfahrung neu - im Ergebnis stimmen dann Impulsgewitter und Außenbild wieder zusammen, aber es gibt da keinen Schalter "jetzt umdrehen" oder "jetzt nicht mehr umdrehen".

Warum ist das Bild auf der Netzhaut verkehrt herum

Das Auge mit seiner Konstruktion unterliegt den ganz normalen bekannten physikalischen Gesetzen der Optik. Damis liegst du schon mal richtig. Es entsteht tatsächlich hinter der Linse ein auf dem Kopf stehendes seitenverkehrtes virtuelles Bild. Neugeborene sehen tatsächlich alles verkehrt herum in den ersten Tagen. Das, was die ganze Angelegenheit richtig stellt, ist unser Gehirn, dass aber auch erst lernen muss, die vom Auge übermittelten optischen Signale für den Gesamtorganismus "Körper" und dessen Benutzung in der Praxis so umzustellen, dass eine gefährdungsfreie Bewegung, Wahrnehmung usw. gewährleistet ist.

Warum ist das Bild auf der Netzhaut verkehrt herum

Topnutzer im Thema Physik

Die gängige Erklärung, ist hier von siquirres beschrieben. Diese Erklärung wird auch nicht dadurch richtig, dass sie seit Jahrzehnten so von Physiklehrern dargestellt. wird.

Zunächst ist es richtig, dass auf der Netzhaut ein höhen- und seitenverkehrtes reelles Bild entsteht. Von dort leiten Nerven jeden einzelnen Bildpunkt an einen Ort im Hirn, den wir als oben, unten rechts oder links erfahren, wie immer diese Nervenbahnen auch räumlich angeordnet sein mögen. Die dürfen sich unterwegs auch überkreuzen. Davon können wir so wenig wahrnehmen, wie wir die Anordnung auf der Netzhaut oder den Strahlengang sehen können. Das lernen wir erst in der Schule.

Natürlich lernt das Neugeborene, wie es seine Hand wahrnimmt, wenn es sie nach oben oder unten bewegt. Es hat aber keine vorgefasste Meinung darüber, wo oben oder unten zu sein hat. Und vom Strahlengang in seinem Auge samt fiktiver Anschauung seiner Netzhaut weiß es noch lange nichts. Die Theorie, das Neugeborene würde die Welt anfangs "verkehrt herum" sehen und sie erst in einem Lernprozess "richtig stellen", ist also unsinnig. Wo nichts falsch gestellt ist, muss auch nichts richtig gestellt werden. m1405m bringt es hier richtig auf den Punkt:

"Weil das Bild im Hirn gedreht wird - aber wer sagt denn, wie herum die Realität ist ?"

Warum ist das Bild auf der Netzhaut verkehrt herum

Also als wir Babys waren, sahen wir noch falschrum, aber wohl haben wir sehr viel Angefasst, so hat sich unser Gehirn daran gewöhnt! So sehen wir jetzt richtigrum ;) [Zitat vom Bio-Lehrer], ungf. so war das glaub ich :D

Warum ist das Bild auf der Netzhaut verkehrt herum

Wie wir wissen nimmt fast jede Kamera ein Bild gedreht auf. Langt es dann später das Bild einfach umzudrehen. Ja das langt.

Wissenschaftler haben übrigens herausgefunden, dass unser Gehirn kurz nach der Geburt das Bild für uns noch nicht umdreht. An die Zeit kann ich mich aber selber nicht mehr erinnern.

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