Wie viele Kosovo-Albaner Leben in der Schweiz

Wie viele Kosovo-Albaner Leben in der Schweiz
60% der jungen Menschen im Kosovo haben keine Stelle. Daniel Rihs / 13 Photo

Zwanzig Jahre nach dem Ende des Kosovo-Kriegs steht die junge Republik immer noch vor riesigen wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen. Aber es gibt viele Anzeichen für Fortschritte.

Dieser Inhalt wurde am 05. Juni 2019 - 11:00 publiziert 05. Juni 2019 - 11:00

Gemäss WeltbankExterner Link hat Kosovo in den letzten zehn Jahren ein "solides" Wirtschaftswachstum erfahren, das sich jedoch nicht wesentlich auf die Arbeitslosigkeit ausgewirkt oder den Trend zu einer massiven Auswanderung umgekehrt hat. Etwa die Hälfte der zwei Millionen Menschen ist unter 25 Jahre alt, und schätzungsweise 60% von ihnen sind arbeitslos.

Patrick Etienne, der seit 2015 das Schweizer Kooperationsbüro in PristinaExterner Link leitet, sagte gegenüber swissinfo.ch: "Mehr als 30% der jungen Menschen nehmen keine Arbeit an, weil die Gehälter so niedrig sind, dass sie lieber "informelle" Arbeiten verrichten. Und viele von ihnen erhalten finanzielle Unterstützung von Verwandten im Ausland. Die Leistungen der Sozialversicherungen sind sehr begrenzt. swissinfo.ch hat in der Vergangenheit über Schweizer Beschäftigungsprojekte im Kosovo berichtet.

Die Wirtschaft ist nach wie vor stark von Geldüberweisungen aus der Diaspora abhängig. In der Schweiz leben rund 260'000 Kosovo-Albaner. Das Land erhält auch internationale Geberhilfe in Höhe von rund 10% des Bruttoinlandprodukts (BIP). Die wichtigsten Geber sind die Europäische Union, die USA, Deutschland, die Schweiz und Entwicklungsbanken wie die Weltbank und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE).

Im Mai 2019 erhielten die Wirtschaftsbeziehungen mit Kosovo durch die offizielle Eröffnung einer neuen kosovarisch-schweizerischen Handelskammer einen Schub. Diese wird alle Hände voll zu tun haben. Das Interesse an Direktinvestitionen in dem Land ist bisher gering. Schlechte Infrastruktur, Korruption und Bürokratie schrecken Unternehmen ab. 

Die politischen Turbulenzen um die Souveränität des Kosovo bergen ebenfalls Risiken für Investoren, weil sich Serbien und Russland weigern, die Unabhängigkeit der jungen Republik anzuerkennen. Das Europäische ParlamentExterner Link hat kürzlich Visa-Erleichterungen im Kosovo unterstützt, was die Wirtschaftsbeziehungen erleichtern würde. Aber die Änderungen müssen noch umgesetzt werden. 

Korruptionsbekämpfung

Patrick Etienne war bei der Ausarbeitung bilateraler Abkommen mit dem Kosovo beteiligt. Im Rückblick auf die letzten vier Jahre sagt er, dass das Land langsam zu einem marktwirtschaftlichen System übergehe. Allerdings schneidet es gemäss Korruptionsindex von Transparency InternationalExterner Link schlecht ab und belegt Platz 93 von 180 bewerteten Ländern. Laut Etienne "schreckt die Rechtsunsicherheit viele Investoren ab, auch solche aus der Diaspora".

Die Schweiz hat dazu beigetragen, die Verantwortlichkeiten der Gemeinden zu stärken und die Transparenz zu verbessern. Die Regierungsführung ist auf lokaler Ebene laut Etienne verantwortungsbewusster. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZAExterner Link) unterstützt die Korruptionsbekämpfung ebenfalls, indem sie Beamte und Journalisten für die Aufklärung von Finanzkriminalität schult.

Stellensuche für junge Kosovaren

In den letzten zehn Jahren haben gemäss Schätzungen Hunderttausende Kosovaren das Land verlassen, um anderswo in Europa Arbeit zu suchen. Und der Exodus geht weiter. Niklaus Waldvogel, der für die Entwicklungsorganisation HelvetasExterner Link arbeitet, ist der Ansicht, dass es zwar nicht möglich ist, die Wirtschaftsmigration aufzuhalten, aber es kann daran gearbeitet werden, den Trend umzukehren: "Man kann die Situation verbessern, indem man die systemische Zusammenarbeit zwischen Bildung und Privatwirtschaft nach dem Vorbild der Schweiz erleichtert. Dies kann verhindern, dass künftige Generationen Kosovo verlassen."

Obwohl viele junge Menschen im Land über ein hohes Bildungsniveau verfügen, beklagen sich die Arbeitgeber darüber, dass sie keine Fachkräfte mit den erforderlichen Kompetenzen finden können. Helvetas versucht mit dem Projekt EYEExterner Link, die Berufsbildung, die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Privatwirtschaft sowie die Stellenvermittlung zu fördern. Die Entwicklungsorganisation hat Lernmodule für Betriebe und Berufsschulen geschaffen, um bis 2020 rund 20'000 junge Menschen auszubilden. "Wir nennen dies systemische Entwicklung, weil sie nachhaltig ist", sagt Waldvogel.

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Jobs für junge Deutschsprachige bei der Firma Baruti in Pristina. null

IT ist die Zukunft

Viele internationale Unternehmen lagern Teile ihrer IT-basierten Dienstleistungen auf den Balkan aus, weil dort junge, intelligente Arbeitskräfte zu relativ niedrigen Arbeitskosten verfügbar sind. Waldvogel glaubt, dass Kosovo für die Teilnahme gerüstet sei, weil junge Kosovaren über gute Fremdsprachenkenntnisse verfügten. Vor einigen Jahren berichteteExterner Link das Westschweizer Fernsehen RTS über Drenusha Shala, die das Marktforschungsunternehmen Baruti in Pristina mitgründete. Viele der heute 400 Mitarbeitenden haben in der Schweiz oder in Deutschland gelebt.

Waldvogel ist der Meinung, dass mit einer klareren nationalen Vision und mehr Investitionen die IT-Branche im Kosovo eine Zukunft hätte. "Der öffentliche und der private Sektor müssen ihr Geld in die Fähigkeiten der zukünftigen IT-Arbeitskräfte investieren. Die vielen Entwicklungsprojekte des Landes, die sich auf die Jugendarbeitslosigkeit konzentrieren, sollten nicht nur die Ausbildung bezahlen, sondern auch die innovative Zusammenarbeit unterstützen. Auf lange Sicht muss das Land lernen, auf eigenen Füssen zu stehen."

Tourismus blüht auf

Das Wirtschaftswachstum mag langsam sein, aber das kulturelle Leben in der Provinz blüht. Die Hauptstadt Pristina hat sich einen Ruf für sein pulsierendes Nachtleben erworben. Und Prizren, die grösste Stadt im Süden, ist wegen seiner Festung, seiner Kirche und seiner mit Cafés gefüllten Altstadt beliebt.

In Peja im Norden haben Schweizer Projekte dazu beigetragen, die touristischen Angebote zu verbessern, das Gebiet international zu vermarkten und die Menschen in diesem Bereich auszubilden. Die Besucherzahlen haben über einen Zeitraum von vier Jahren um 75% zugenommen. swissinfo.ch berichtete 2017 über diese Initiativen.

Etienne sagt, es gebe noch viel zu tun: "Das Projekt in PejaExterner Link war ein grosser Erfolg. Hier gab es vorher keine touristische Infrastruktur. Aber die Infrastruktur muss weiter ausgebaut werden, und es mangelt an Hotels, die internationalen Standards entsprechen."

Das ungenutzte Potenzial der Diaspora

Gemäss Schätzungen machen Geldüberweisungen – vor allem aus Deutschland, der Schweiz und den nordischen Ländern – etwa 17% des BIPExterner Link des Kosovo aus. Viele Kosovaren, die in der Schweiz leben, geben ein Vermögen für den Bau grosser Familienhäuser in ihren Herkunftsregionen aus. Sie schicken regelmässig Geld nach Hause und fliegen jeden Sommer hin.

Hilmi Gashi kommt in den wärmeren Monaten mit der Familie her. In der Schweiz arbeitet er für die Gewerkschaft UNIAExterner Link. In der albanischen Diaspora stecke grosses und weitgehend ungenutztes Potential, sagt er. Er ist Vorstandsmitglied von GerminExterner Link, einer Nichtregierungsorganisation, welche die albanische Diaspora ermutigt, sich durch Wissens- und Geldtransfer stärker an der Entwicklung des Kosovo zu beteiligen.

Die Organisation wird von einer Gruppe von Fachleuten aus verschiedenen Bereichen geleitet. Gashi glaubt, dass Kosovo durch Bottom-Up-Veränderungen wachsen kann, indem das  Land die Entwicklung der Zivilgesellschaft fördert und die Abhängigkeit von politischen Führern, dem Parlament oder internationalen Organisationen ablegt: "Wenn Projekte mit internationalem Geld finanziert werden, scheitern sie, sobald die Geldströme versiegen".

Einer der Erfolge von Germin war die Errichtung einer "Diasporaschule", die junge Fachleute aus der Diaspora und dem Westbalkan zusammenbringt, um einige der dringendsten Probleme der lokalen Gemeinschaften im Kosovo anzugehen. Hilmi Gashi: "Wir müssen den Menschen zeigen, dass man nicht darauf warten sollte, bis die Regierung die Probleme löst".

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